2010 - Senegal

Ein Rei­se­be­richt

Alles begann mit einer Kon­zert­rei­se des Blä­ser­quar­tetts ‘Tal­king Horns’, das 2009 auf Ein­la­dung des Goe­the-Insti­tuts Dakar im Sene­gal tour­te. Ste­phan Schul­ze, sowohl Mit­glied die­ser For­ma­ti­on als auch des Lei­tungs­teams des Jugend­Jazz­Or­che­sters NRW, erkann­te spon­tan, dass das sene­ga­le­si­sche Publi­kum sicher­lich auch auf­ge­schlos­sen auf eine Big Band mit Jugend­li­chen aus NRW reagie­ren würde.

Der Vor­schlag, das JJO NRW in den Sene­gal ein­zu­la­den, wurde vom Goe­the-Insti­tut Dakar begei­stert auf­ge­nom­men und die Vor­be­rei­tun­gen nah­men ihren Lauf. Die Idee war, die Jugend­li­chen auf dem Jazz­fe­sti­val Saint-Louis, einem der her­aus­ra­gen­den Musik­erer­eig­nis­se West­afri­kas, und im ‘Sora­no-Thea­ter’ in Dakar auf­tre­ten zu las­sen. Zudem soll­te ein Work­shop mit ein­hei­mi­schen Jugend­li­chen orga­ni­siert werden. 

Die Kon­zert­rei­se, mitt­ler­wei­le die 32. Aus­lands­tour­nee und der 3. Afri­ka­be­such des Orche­sters, fand statt vom 20.-27. Mai 2010. Die künst­le­risch-päd­ago­gi­sche Betreu­ung lag in den Hän­den von Ste­phan Schul­ze, Ste­fan Pfei­fer-Gali­lea und Gabri­el Perez. 

Die Tour beginnt in den frü­hen Mor­gen­stun­den mit dem Bus­trans­fer zum Brüs­se­ler Flug­ha­fen und droht auf der A 4 kurz hin­ter Köln vor­zei­tig zu schei­tern. Mit bei­ßen­dem Geruch ver­brann­ter Kupp­lungs­be­lä­ge kün­digt sich das Ende der Fahrt an, der Bus rollt aus und bleibt weni­ge Meter vor einer Park­platz­aus­fahrt lie­gen. Hek­ti­sche Tele­fo­na­te fol­gen, nach rund 1 ½ Stun­den trifft ein Ersatz­bus ein, der ‘Check in’ am Flug­ha­fen mit gesam­tem Orche­ste­re­quip­ment gelingt auf den letz­ten Drücker. 

6 Stun­den Non­stop-Flug nach Dakar, die Zeit­ver­schie­bung beträgt minus 2 Stun­den. Wäh­rend des Lan­de­an­flugs schon deut­lich aus­zu­ma­chen: eine rie­si­ge Bron­ze­sta­tue, ein ‘öko­no­mi­sches Mon­ster’, wie die Oppo­si­ti­on des Lan­des die­ses vor allem unter ästhe­ti­schen Gesichts­punk­ten betrach­tet höchst bedenk­li­che Monu­ment bezeich­net. 52 Meter hoch, 15 Mil­lio­nen € teuer, von Nord­ko­rea errich­tet, spült es 1/3 der Ein­nah­men in die Pri­vat­kas­se von Staats­chef Abdou­laye Wade, behaup­tet er doch, das Kon­zept die­ses gigan­ti­schen Bau­werks ent­wickelt zu haben. 

Die­ses steht im kras­sen Gegen­satz zu den Lebens­be­din­gun­gen der ehe­ma­li­gen fran­zö­si­schen Kolo­nie, in der die Hälf­te der Bevöl­ke­rung unter der Armuts­gren­ze lebt. Fast zum Grei­fen nah die ein­fa­chen Behau­sun­gen, die bis an die Lan­de­bahn reichen. 

Beim Ver­las­sen des Flug­ha­fen­ge­bäu­des wird das Orche­ster von aller­lei Per­so­nen bedrängt, die ihre Dien­ste anbie­ten. Ein Klein­bus und der Goe­the-Lie­fer­wa­gen ste­hen bereit. Das Gepäck wird kur­zer­hand auf dem Dach fest­ge­bun­den, die Fahrt geht in die ‘Auber­ge Keur Diame’. Man taucht ein in eine ande­re Welt. Es gilt Klima und frem­de Ein­drücke zu ver­ar­bei­ten, der Begriff Kul­tur­schock ist durch­aus angebracht. 

Stocken­der Ver­kehr, Abga­se, Pla­stik­ab­fäl­le, die Stra­ße geht in eine Sand­pi­ste über. Der Klein­bus, mit reich­lich Gepäck auf dem Dach, schau­kelt durch enge Gas­sen und hält schließ­lich vor einer gemüt­li­chen Pen­si­on. Ruth, die freund­li­che Inha­be­rin, spricht deutsch, küm­mert sich fort­an um die Jugend­li­chen, und es dau­ert nicht lange und die Band hat sich eingelebt. 

In kei­ner ande­ren Metro­po­le West­afri­kas pral­len die Gegen­sät­ze afri­ka­ni­scher Tra­di­ti­on und euro­päi­scher Moder­ne so extrem auf­ein­an­der wie in Dakar. Futu­ri­sti­sche Ban­ken­pa­lä­ste und Luxus­ho­tels in Sicht­wei­te trost­lo­ser Armen­vier­tel, dazu bunte Märk­te, schicke Gale­rien und pul­sie­ren­de Clubs: Dakar ist Magnet und Moloch zugleich. Hier wird inter­na­tio­na­le Mode kre­iert, Musik pro­du­ziert, Thea­ter gespielt und Kunst aus­ge­stellt. Dakar schläft nie. 

Der erste Tag geht zu Ende mit ‘Chil­len’ auf der Dach­ter­ras­se der ‘Auber­ge’, man genießt das fri­sche Seeklima. 

Am fol­gen­den Tag reist die Band mit Klein­bus, Goe­the-Trans­por­ter und einem Pri­vat-PKW in das 265 km ent­fern­te St. Louis. Uwe Rie­ken, Goe­the-Insti­tut-Lei­ter, und Nor­bert Hau­sen von der Kul­tur­pro­gramm­ab­tei­lung beglei­ten den Tross, der sich müh­sam sei­nen Weg durch die Aus­fall­stra­ßen der Haupt­stadt gen Nor­den bahnt. Unter­wegs wer­den Lunch­pa­ke­te aus­ge­teilt, vor­be­rei­tet von der Restau­ra­ti­on des Goe­the-Insti­tuts, der all­seits belieb­ten ‘VoundaBar’.

Die rund fünf­stün­di­ge Fahrt führt teils durch ein­tö­ni­ge Savan­nen­land­schaft. Hoff­nungs­los über­la­de­ne Klein­bus­se wer­den über­holt, die Kli­ma­an­la­ge ist wg. stei­gen­der Motor­tem­pe­ra­tur abge­schal­tet, hei­ßer Wüsten­wind weht durchs Fenster. 

Die Band erreicht ihre Unter­kunft, das Hotel ‘Coum­ba Bang’, rund 10 km außer­halb von St. Louis. 

Die ehe­ma­li­ge Haupt­stadt von Fran­zö­sisch-West­afri­ka, an der Mün­dung des Sene­gals auf der ‘Ile de St. Louis’ gele­gen, strahlt im Gegen­satz zu Dakar eine gera­de­zu beschau­li­che Ruhe aus. Die Häu­ser, teils noch aus dem 19. Jahr­hun­dert, ver­brei­ten kolo­nia­len Charme. Man erreicht das Stadt­zen­trum über eine von Gust­ave Eif­fel kon­stru­ier­te 500 Meter lange Brücke, der ‘Pont Faid­her­be’, auf der bereits eini­ge Eisen­plan­ken fehlen. 

In St. Louis fin­det par­al­lel zum Jazz­fe­sti­val all­jähr­lich eine große tra­di­tio­nel­le Wall­fahrt der Mus­lim­brü­der­schaf­ten statt. Hun­der­te von Pil­gern bevöl­kern die Stadt und schaf­fen mit ihren lau­ten Gesän­gen und der Ver­bin­dung von Ele­men­ten des Islam und der Voo­doo-Kul­tur eine ein­zig­ar­ti­ge Atmo­sphä­re, die sich auch auf den Jazz überträgt. 

Bekann­te Jazz­grö­ßen wie Pha­ro­ah San­ders, das Wolf­gang Pusch­nig Quar­tett sowie das Syl­va­in Beuf Quar­tet gehö­ren zu den Gästen des Festi­vals. Ver­ständ­li­cher­wei­se fie­bert das JJO NRW sei­nem Auf­tritt ent­ge­gen. Nach aus­gie­bi­gem Sound­check lie­fert die Band ein begei­stern­des Kon­zert vor aus­ver­kauf­tem Haus. Die eigens arran­gier­ten afri­ka­ni­schen Titel, vor allem aber gute Soli, gepaart mit Spiel­freu­de, begei­stern das Publi­kum. Am Ende Stan­ding Ovations. 

Das Fern­se­hen zeich­net das Kon­zert auf. Sowohl in Inter­views als auch in Gesprä­chen mit Publi­kums­teil­neh­mern wird deut­lich, dass man ein solch hohes künst­le­ri­sches Niveau von Jugend­li­chen nicht erwar­tet hätte. Eine ver­gleich­ba­re För­der­ein­rich­tung wie die des JJO NRW würde man weder in Frank­reich noch im Sene­gal finden. 

Nach erfolg­rei­chem Auf­tritt ver­liert sich ein Teil der Band in Musik­knei­pen, in denen bis in die Mor­gen­stun­den ‘gejammt’ wird. 

Es ist Sonn­tag, der 23. Mai. 

Das Orche­ster macht sich auf den Weg zurück nach Dakar. Erste Anzei­chen von Ver­dau­ungs­pro­ble­men sind aus­zu­ma­chen. Nach der Rück­kehr wird die geplan­te Besich­ti­gung der Haupt­stadt aus dem Pro­gramm genom­men. Ruth von der ‘Auber­ge’ berei­tet das Abend­essen, man­che gehen unge­wohnt früh zu Bett. 

Der näch­ste Tag beginnt mit einer Hiobs­bot­schaft. Die halbe Band lei­det an Durch­fall, z.T. auch an Erbre­chen. Bana­nen, spon­tan orga­ni­siert und ver­teilt, schaf­fen ein wenig Linderung. 

Es steht der Besuch des Goe­the-Insti­tuts auf dem Pro­gramm, in des­sen Räum­lich­kei­ten der Work­shop statt­fin­den soll. Der Beginn ver­zö­gert sich, was für sene­ga­le­si­sche Ver­hält­nis­se nichts Unge­wöhn­li­ches ist. Die War­te­zeit wird mit einem Kicker über­brückt, der in der Ver­wal­tung des Insti­tuts auf­ge­stellt ist und die Ver­dau­ungs­pro­ble­me für einen Moment ver­ges­sen lässt. 

Der Work­shop ist geprägt vom Auf­ein­an­der­tref­fen deut­scher und afri­ka­ni­scher Jazz­mu­si­ker. Das Orche­ster eröff­net die Begeg­nung mit einer quasi öffent­li­chen Probe eini­ger sei­ner Stücke und beant­wor­tet anschlie­ßend die Fra­gen der Sene­ga­le­sen nach musi­ka­li­schen Inhal­ten und dem orga­ni­sa­to­ri­schen Auf­bau einer Big Band. Anschlie­ßend beginnt eine ‘Jam Ses­si­on’. Die Band stimmt einen Titel über ein afri­ka­ni­sches Thema an, nach und nach stei­gen die anwe­sen­den afri­ka­ni­schen Musi­ker ein und impro­vi­sie­ren gemein­sam. Dies funk­tio­niert so über­zeu­gend, dass das Orche­ster einen der anwe­sen­den Musi­ker, den Sän­ger Ali Dial­lo, spon­tan ein­lädt, seine Impro­vi­sa­ti­on beim Abschluss­kon­zert zu wiederholen. 

Diens­tag, der 25. Mai 2010, beginnt mit einem Inter­view bei ‘RSI’ (Radio Sene­gal Inter­na­tio­nal). Ein zwei­tes Inter­view, die­ses Mal bei ‘RTS’ (Radio­dif­fu­si­on Tele­vi­si­on Sene­ga­lai­se), ist für den Nach­mit­tag vor­ge­se­hen. Der bekann­te Jazz­re­dak­teur Micha­el Sou­mah möch­te ein Live-Inter­view füh­ren. Die Sen­dung muss wegen Strom­sper­re ausfallen. 

Am Nach­mit­tag soll der Sound­check für das Kon­zert im Thea­ter ‘Sora­no’ statt­fin­den. Geplant ist eine Vor­grup­pe in das Pro­gramm zu neh­men, die aber zur ver­ein­bar­ten Probe nicht erscheint. Der Ton­tech­ni­ker des JJO NRW, eigens mit­ge­reist und tou­rer­probt, stellt fest, dass die Ton­an­la­ge unter elek­tri­scher Span­nung steht. Es wird hef­tig mit dem Haus­per­so­nal gestrit­ten mit dem Ergeb­nis, dass die Ton­an­la­ge wie­der abge­baut wird und das Orche­ster nahe­zu unver­stärkt das Kon­zert bestrei­tet. Mitt­ler­wei­le wer­den aus der Gar­de­ro­be Kame­ras und ein Rei­se­pass ent­wen­det. Das Wach­per­so­nal ist mit Fern­seh­gucken beschäf­tigt. Hef­ti­ge Wort­wech­sel drücken die Stim­mung. Mitt­ler­wei­le taucht die Vor­band auf, drei Stun­den spä­ter als ver­ein­bart. An Sound­check ist nicht zu den­ken, man legt ihr nahe, wie­der abzureisen. 

Wäh­rend des Kon­zerts müs­sen zwei Saxo­pho­ni­sten aus­set­zen, der Durch­fall ist noch nicht aus­ge­stan­den. Gabri­el Perez und Ste­fan Pfei­fer-Gali­lea sprin­gen spon­tan ein, Ste­phan Schul­ze diri­giert den Rest des Kon­zerts allein. Seine Ansa­gen auf Fran­zö­sisch tra­gen mit dazu bei, das Publi­kum, dar­un­ter auch der Deut­sche Bot­schaf­ter, bestens zu unter­hal­ten. Auch hier begei­stert die Band, nicht zuletzt durch Mit­wir­ken des bereits erwähn­ten ein­hei­mi­schen Sän­gers Ali Dial­lo. Auch die­ses Kon­zert endet mit Stan­ding Ovations. 

Am Abrei­se­tag wird die Stadt­rund­fahrt nach­ge­holt, die drei Tage zuvor abge­sagt wer­den muss­te. Die Tour geht zu ver­schie­de­nen Märk­ten, auf denen die Band sich in der Kunst des Feil­schens erprobt. Die Tour endet in einem Strand­re­stau­rant, in dem man hin­über­blickt zur Insel Gorée. Hier befin­det sich das wohl meist­fo­to­gra­fier­te Motiv Sene­gals, das ‘Mai­son des Escla­ves’. Von hier wur­den von den Euro­pä­ern Mil­lio­nen Afri­ka­ner ver­schleppt und in die Skla­ve­rei getrieben. 

Ein letz­ter Imbiss in der ‘VoundaBar’ des Goe­the-Insti­tuts, ein letz­tes Match gegen den Insti­tuts­lei­ter, dann geht es zurück zum Hotel. Kof­fer und Instru­men­te ver­la­den, Abschied­neh­men von Ruth. 

Das Ein­checken am Flug­ha­fen ver­läuft ohne Auf­re­gung, auch hier kennt man die Band aus dem Fern­se­hen. Die Band wird in Brüs­sel von einem nagel­neu­en Rei­se­bus abge­holt; auf der Rück­fahrt gibt es keine Probleme. 

Das JJO NRW dankt dem Lei­ter des Goe­the-Insti­tuts, Uwe Rie­ken, sowie dem Lei­ter der Kul­tur­pro­gramm­ab­tei­lung, Nor­bert Hau­sen, für die Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung der Kon­zert­rei­se sowie ins­be­son­de­re für die her­vor­ra­gen­de Betreu­ung der Band. 

Die Tour­nee wurde vom Goe­the-Insti­tut und dem Mini­ster­prä­si­den­ten des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len gefördert.