Alles schien bestens organisiert und dann wurde es nicht erteilt: das Sammelvisum für die Einreise in die Volksrepublik China.Wolf Escher, der die Reise mit Energie, seiner ihm eigenen Akkuratesse und Geduld vorbereitet hatte, schien letztere zu verlieren und konnte des Nachts nicht schlafen. Wieder liefen Faxe hin und her, man bemühte sich von höchster Stelle. Am Montag vor dem Mittwoch kam es dann doch: das Sammelvisum für die Einreise in die Volksrepublik China.
Das Orchester war bestens präpariert. In zwei Arbeitsphasen in Heimbach/Eifel und Köln wurden die Musiker des traditionsreichsten JugendJazzOrchesters der Republik für die Tournee fit gemacht. Bei den abschließenden Proben wurde nochmals alles ‘gecheckt’, Aufgaben verteilt, Texte zum Programm verfaßt, letzte Klarheiten beseitigt.
Mittwoch, 15. Mai
Der Leiter und der Geschäftsführer warten vor der Musikschule Dortmund auf den Bus, der sie und später das ganze Orchester zum Brüsseler Flughafen bringen soll. Gegen 17:00 geht es los, nachdem sich der Fahrer darüber aufgeregt hatte, warum denn der Musikschulparkplatz für die Ankunft seines Kleinbusses nicht leergeräumt sei.
Es ist der Mittwoch vor Christi Himmelfahrt und der deutsche Autofahrer läßt es sich nicht nehmen, diese Feiertagskonstellation zum Anlaß zu nehmen, Stoßstange an Stoßstange in den Kurzurlaub zu kriechen. Auf dem Kölner Ring stehen wir ca. 1 Stunde nutzlos herum und bangen um unseren Flieger nach Peking. Auch der Rest des Orchesters, der in Köln und in der Nähe von Aachen auf uns wartet, macht sich berechtigte Sorgen ob der enormen Verspätung ihres Transfers nach Brüssel.
Doch dann läuft es. Der Bus kommt rechtzeitig am Flughafen an. Dieser scheint um diese Zeit wie ausgestorben, - Zeit für jeden, vor dem 10stündigen Nonstop-Flug in sich zu gehen und sich auf das einzustellen, was da kommen sollte.
Donnerstag, 16. Mai
01:05 Uhr. die McDonnell Douglas MD 11 der China Eastern Airlines rollt zur Startbahn -und verläßt diese gleich wieder. Zur Vermeidung von Unannehmlichkeiten geben wir einem im Landeanflug befindlichen Maschine den Vorrang. Doch dann sind wir in der Luft, gleiten ruhig und bestens betreut nach Peking.
17:25 Uhr. Zwischenlandung in Peking, - fast auf die Minute pünktlich, Einreiseformalitäten werden erledigt, alles läuft reibungslos. Erste Eindrücke am Flughafen werden verarbeitet und bei einem Erfrischungsgetränk an der Bar ausgetauscht.
18:25 Uhr. Weiterflug nach Shanghai, Landung dort um 20:15 Uhr, - wieder erstaunlich pünktlich.
Dank unserer chinesischen Begleiterin, Frau Zou Ying vom Kulturamt Hangzhou, Abtlg. für ausländische Zusammenarbeit, funktioniert das Auschecken wieder problemlos. Überhaupt sollten wir bald merken, wie sich diese Frau - teils unauffällig, teils vehement - für die Belange der Band einsetzte. Nicht umsonst bekam sie bald den Titel ‘Mutter des Orchesters’ verliehen.
Von Shanghai geht es in Begleitung einer fünfköpfigen chinesischen Delegation, die ununterbrochen aufeinander einredet, per Bus in das ca. 200 km entfernte Hangzhou. Auf dieser nächtlichen Fahrt bekommen wir einen kleinen Vorgeschmack auf den chinesischen Verkehr und auf die Art des Busfahrers, diesem offensichtlichen Chaos zu begegnen. Teilweise oder auch gar nicht beleuchtete Fahrzeuge unterschiedlichster Art fahren nach Gutdünken mal auf der rechten mal auf der linken Straßenseite, was den Fahrer veranlaßt, abwechselnd links und rechts zu überholen. Diejenigen Orchestermitglieder, die noch wach sind, verfolgen mit ungläubigem Staunen die Manöver unseres Busses. Hier schien sich der Spruch zu bewahrheiten, der dem Autor in seiner heimatlichen Autowerkstatt aufgefallen war: ‘Was ist Praxis ? Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiß warum.’ Auf wundersame Weise kollidierten hier PKWs, LKWs, Fahrräder und Eselskarren nicht miteinander - und ich wußte nicht warum.
Freitag, 17. Mai
Es ist nach Mitternacht. Zeitverschiebung und allgemeine Ermattung lassen die chinesische Umwelt wie traumatisiert erscheinen. Und dann biegt der Bus endlich in die Auffahrt unserer Herberge ein. Diese scheint so unglaublich luxuriös (was sie auch tatsächlich war), daß wir Mühe haben, sie mit dem Land, durch das wir seit 5 Stunden fuhren, in Verbindung zu bringen. Ausladen, ‚Zimmerverteilung, - alles funktioniert - und einige wenige ahnen warum. Kurze Information des Geschäftsführers: ’10:00 Uhr Frühstück’.
10:00 Uhr. Frühstück. Angestellte des Hauses stehen am Eingang des Frühstücksraumes und nicken uns höflich zu. Wir nicken zurück, würden gerne etwas sagen, doch mit dem Wortschatz hapert es.
12:00 Uhr. Empfang im Hotel mit dem Bürgermeister und weiteren Offiziellen der Stadt Hangzhou sowie Vertretern des Kulturamtes. Die chinesische Seite zeigt sich hoch erfreut, das Orchester in Hangzhou begrüßen zu können und hofft, daß die anstehenden Konzerte zu einem großen Erfolg führen werden. Wolf Escher bemerkt in seiner Entgegnung, daß es ihn ebenfalls freue, nach so langer Vorbereitungszeit in Hangzhou zu sein und bedankt sich im Namen des Orchesters für die chinesische Gastfreundschaft. Die Atmosphäre ist nicht gerade locker, daran ändert auch der Tee nichts. Keiner kann zu diesem Zeitpunkt ahnen, daß wir irgendwann Vertreter des Kulturamtes dazu bringen würden, ein Kölner Karnevalslied anzustimmen.
Nach dem Empfang geht es zum Mittagessen. Man sitzt an runden Tischen mit der typischen Drehtafel in der Mitte und pikt mit Stäbchen - wenn es denn gelingt - die köstlichsten Speisen. Man hat geschickterweise die Plätze so verteilt, daß zur Linken wie zur Rechten jeweils ein chinesischer Gast sitzt, der uns freundlicherweise in die hohe Kunst des Stäbchenessens einweist. Um uns herum hantiert geschickt und unaufdringlich das weibliche chinesische Personal; seine Dienstkleidung mit integriertem Seitenschlitz stößt auf allgemeine Zustimmung. Speisen werden auf- und abgetragen, alles schmeckt unerhört lecker. Es dauert nicht lange und der Bürgermeister eröffnet die Trinkzeremonie, die sich auf unserer Reise noch unzählige Male wiederholen sollte: ‘gambai’ (im deutschen Volksmund etwa: ‘hau weg!’), ruft er, trinkt das Glas in einem Zug aus, zeigt stolz das leere Behältnis und blickt uns dabei tief in die Augen. Wir folgen seinem Beispiel. Nochmals werden freundliche Reden gehalten. ‘Gambai’ schallt es nun auch von den Vertretern des Kulturamtes. Die Atmosphäre ist locker.
Nachmittags nehmen wir das Ton Po Theater in Augenschein, in dem wir abends unser erstes Konzert geben sollen. Wir haben kaum Zeit, irgend etwas in eigener Regie zu unternehmen, alles ist straff durchorganisiert.
Das Theater hat ca. 1.200 Plätze. Der Bühnenaufbau beginnt. Die Personenzahl der chinesichen Delegation scheint ständig zuzunehmen. Man ist bemüht, uns soweit als möglich technische Unterstützung zu gewähren. Mit Hilfe von Zou Ying, die unermüdlich übersetzt und organisiert, funktioniert der Aufbau und der Soundcheck.
Das Theater ist nahezu ausverkauft. Das Publikum ist neugierig, wir sind neugierig. Das Konzert beginnt, eine chinesiche Ansagerin verließt brav den Inhalt der Stücke, die auf dem Programm stehen. Der Applaus ist freundlich, nicht gerade überschwenglich, etwa wie kurze crescendi und decrescendi. Die offiziellen Ansagen sind nicht gerade stimmungsfördernd, man müßte die Zuhörer aus ihrer Reserve locken. Spaß haben sie ja, nur sie trauen sich nicht, diesen auch zu zeigen. ‘Fun’ heißt ein Stück von Meinhard Puhl, bis vor kurzem noch Mitglied des Leitungsteams, das die Band als Zugabe präsentiert. Es gilt, das Publikum mit Spaß, zu infizieren. Die Rhythmusgruppe powert in ‘Technomanier’, während der Rest der Band inkl. Sängerin und Leitungsteam sich mit Räppelchen und diverser Perkussion bestückt ins Publikum aufmacht, um Stimmung zu verbreiten. Das Eis bricht. Die Leute stehen auf, klatschen begeistert mit und freuen sich. Manch einer mag an Karneval in Rio gedacht haben. Viele kommen nach dem Konzert zur Bühne, wollen Autogramme und sich mit den Musikern fotographieren lassen.
Die Stimmung ist gut, - wir hängen im Zeitplan. Die chinesische Seite mahnt zum Aufbruch, denn schließlich ist - wie immer - alles ‘volbeleitet’. Wieder im Hotel gibt’s Abendessen vom ‘Feinsten’ und ‘gambai’ an allen Tischen. Pünktlich um 24:00 erklärt die chinesische Seite die ‘Party’ für beendet.
Samstag, 18. Mai
Konzert in der Handelshochschule. Vorher geht es zum Mittagessen in die Universität. Die Band wird von einer Vielzahl chinesischer Studentinnen in Empfang genommen und in den Speisesaal begleitet. Man spricht englisch, hin und wieder auch deutsch, erste außerprotokollarische Kontakte werden geknüpft, die Band ist sehr angetan. Das Publikum in der Handelshochschule besteht fast ausschließlich aus Studenten. Die Ansagen werden vom Leitungsteam selbst gemacht, grenzenlose Begeisterung besonders wieder am Schluß bei ‘Fun’. Später wird die Ankunft in der Universität für das Fernsehen nochmals nachgestellt, - Gelegenheit, außerprotokollarische Kontakte weiter zu vertiefen.
Nachmittags geht es mit dem Bus in das 60 km entfernte Xiaoshen. Auftrittsort ist hier eine riesige Sporthalle. Aufbau, Soundcheck, - ich lerne unseren chinesischen Begleiter Boris (‘Bobbele’) schätzen. Er übersetzt und hilft wo er kann, immer freundlich, läßt sich nicht aus der Ruhe bringen. Er spricht akzentfreies Deutsch (nach 2 Jahren Unterricht!) und weiß erstaunlich viel über Deutschland, z.B. daß Borussia Dortmund deutscher Fußballmeister ist. Vor dem Konzert geht’s zum Essen in ein nobles Restaurant.
Alles ist ‘volbeleitet’. Ein rotes Transparent über dem Eingang heißt uns willkommen. Wieder werden wir von einem Fernsehteam empfangen.Das Publikum ist der englischen Sprache nicht mächtig. Unsere Zou Ying übersetzt, manchmal - so scheint es - nicht immer das, was sie soll. Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Erst die Zugabe mit obligatorischem Ausflug lockt die Zuhörer aus der Reserve.
Sonntag, 19. Mai
Zou Ying zeigt uns Zeitungsausschnitte mit Fotos. Die chinesische Seite ist sehr angetan von unseren Konzerten; die Vertreter des Kulturamtes Hangzhou zeigen sich zufrieden, können sie doch ihrer vorgesetzten Stelle melden, daß alles nach Plan läuft und obendrein das Orchester großen Erfolg hat. Das alles macht den Umgang zwischen Gastgebern und Gästen zusehends unkomplizierter. Inzwischen können wir dem Hotelpersonal auch ein aufmunterndes ‘guten Morgen’ oder ‘Danke’ auf chinesisch entgegenbringen. Jetzt zeigt sich das Fernsehen schon beim Frühstück. Eine Moderatorin möchte Einzelheiten über das geplante open air-Konzert am Abend wissen. Vorgesehen ist ein Auftritt zusammen mit einheimischen Künstlern im Liulang Park am West-See.
Mittags spielt die Band in der Sporthalle der Universität. Die Studenten sind völlig aus dem Häuschen. Am Ende des Konzerts kommen sie von den Rängen, bestürmen die Musiker mit Fragen. Einige wollen Instrumente ausprobieren, andere sich fotographieren lassen. Das Publikum reißt sich förmlich um Cds. Es ist ein Gewühl wie am 1. Tag eines westdeutschen Sommerschlußverkaufs. Nachmittags geht es in den schon erwähnten Park. Mit Unterstützung einer amerikanischen Brauerei soll hier am Abend ein Kulturprogramm präsentiert werden. Die technischen Voraussetzungen sind nicht gerade ideal: die P.A. reicht allenfalls zur Beschallung eines Schulhofes, Scheinwerfer hängen an Drähten, die man hierzulande eher als Telephonleitung benutzen würde. Kurz vor Beginn der Veranstaltung schmort eine Leitung durch und droht die Bühnendekoration in Brand zu setzten.
Das Leitungsteam ist verschwunden. Wie sich später herausstellt, war es zu einer ‘Besprechung’ auf ein Boot geladen, das dann unerwartet auf den See hinausfuhr. Fast glaubte man an eine Entführung. Die schon erwähnte Brauerei ließ sich nicht lumpen und verwöhnte ihre Passagiere mit einem erlesenen ‘Besprechungsessen’. Der Rest der Band lümmelte sich - von der Führung zurückgelassen - hinter der Bühne herum und begnügte sich mit Fast food und Büchsenbier.
Der Park füllt sich, etwa 10.000 Zuschauer kommen, um dem Spektakel beizuwohnen. Auf dem Programm steht - neben einem Bierwettrinken - der Auftritt einer Kindergruppe, die Volkslieder auf batteriebetriebenen Heimorgeln (sog. ‘West-Lake-Keyboards’) kitschig dekadente ‘Westschnulzen’ spielt, sowie eine Ballett-aufführung einer Tanzgruppe, deren anmutige Bewegungen einen nachhaltigen Eindruck auf die deutschen Gäste hinterlassen. Das Orchester gibt sein Bestes, der Sound ist bescheiden und aufgrund dichter Menschentrauben vor den ohnehin zu klein dimensionierten Lautsprechern nicht sehr tragfähig. Alles wird von einer lokalen Fernsehstation übertragen, einschließlich eines Interviews mit unserem Schlagzeuger, dessen Punkfrisur sicherlich für Gesprächsstoff beim chinesischen Fernsehpublikum sorgen dürfte.
Montag, 20. Mai
Wieder steht uns ein volles Programm ins Haus, deswegen Frühstück um 08:00.
Anschließend geht’s auf eine Stadtrundfahrt durch Hangzhou, der Hauptstadt der Provinz Zhejiang. Hangzhou, das den Beinamen ‘Seidenstatt’ führt, gilt als eine der schönsten Städte Chinas, was in einem bekannten Sprichwort zum Ausdruck kommt: ‘Im Himmel gibt es das Paradies, hier auf Erden sind Suzhou und Hangzhou’. (vergl. Baedecker: ‘China’, S.206)
Wenn doch nicht gerade paradiesisch so sind einige Sehenswürdigkeiten dieser Stadt ausgesprochen besichtigungswürdig. Dazu zählen u.a. der West-See (hier gibt es eine kleine Fahrt mit dem Elektroschiff), das Kloster der Verborgenen Unsterblichen (Linying Si) mit dem sog. ‘herbeigeflogenen Gipfel’ (Feilai Feng, ein 168 m hoher, von unzähligen Höhlen und Nischen durchbrochener Berg, in denen etwa 380 Buddha-Statuen untergebracht sind) sowie die 60 m hohe Pagode der Sechs Harmonien (Liuhe Ta). Im Laufe der Rundfahrt geht es auch in eine Teestube, in der man den bekannten Drachenbrunnentee (Longjing Cha) probieren und natürlich auch kaufen kann.
Als Fremdenverkehrsführerin betätigt sich eine freundliche und aufgeschlossene Chinesin, die - so läßt sie schnell durchblicken - für ihr Leben gern singt. Das tut sie dann auch über das Busmikrophon, und die Band ist begeistert. Bei einem Rundgang durch eine von kleinen Seen durchzogene Gartenanlage mit wunderschönen chinesischen Pavillons studiert sie mit Michael Villmow (Leitungsteam) ein bekanntes chinesisches Volkslied ein (Titel: ‘die Braut’), das dieser spontan niederschreibt und mit westlicher Lautschrift versieht. Im Duett wird es dann später beim Mittagessen auf einer Charaokebühne den staunenden Restaurantbesuchern vorgeführt.
17:00 Uhr. Treffen Ton Po Theater zur Vorbereitung des Abschlußkonzerts in Hangzhou. Die Räumlichkeiten wirken vertraut, hier spielte die Band ihr erstes Konzert auf chinesischem Boden. Aufbau und Soundcheck verlaufen problemlos, Teamarbeit entwickelt sich zwischen Gastgebern und Gästen, - nicht einmal ‘Bobbele’ muß helfen. Es bleibt Zeit für einen kleinen Spaziergang auf der West-Seepromenade.
Wolfgang Breuer will uns auf eine besonders attraktive chinesische Passantin aufmerksam machen. Da wir sie nicht gleich entdecken und deshalb nachfragen, wen er denn meine, zeigt er in eine bestimmte Richtung und bemerkt: ‘…ja die da mit den schwarzen Haaren.’
Das Theater ist mit 1.200 Zuhörern ausverkauft. Einige kommen zum wiederholten Mal in unser Konzert und bilden eine echte Fangemeinde. Die Band ist gut eingespielt. Im Gegensatz zum ersten Konzert applaudiert das Publikum jetzt enthusiastisch und lang anhaltend. Einen Höhepunkt bildet das Gesangsduett Villmow/Fremdenverkehrsführerin, das - durch intensive Charaokearbeit bestens präpariert - das Brautlied anstimmt; die Band unterstützt dezent. Die Zugabe verläuft wie nicht anders zu erwarten, und am Schluß sind alle froh und glücklich.
Glücklich ist vor allem auch Bao Zhen Xi, Director Assistant vom Hangzhou Cultural Bureau. Alles ist gut verlaufen - natürlich weil alles gut ‘volbeleitet’ war -, es gab keine nennenswerten Schwierigkeiten und die Gäste erwiesen sich als zuverlässige Partner in puncto Vorbereitung und Durchführung der Konzerte. Beim anschließenden Abendessen im Hotel ist es dann soweit: nach wiederholtem ‘gambai’ und dem Brautlied, das mittlerweile das ganze Orchester imstande ist zu singen, versucht er sich an dem Kölner Karnevalsschlager: ‘Im Winder, da schneidet, im Winder iset kaallt, ja so kaallt, ja so kaallt…’. Dann offenbart er uns, daß er 30 Jahre lang professionell getanzt habe und gibt sogleich eine Kostprobe. An diesem Abend siegt die künstlerische über die offizielle Seele in seiner Brust, und um 24:00 ist noch nicht Schluß.
Dienstag, 21. Mai
Nächster Spielort ist Ningbo, etwa 200 km südöstlich von Hangzhou gelegen. Der Bus quält sich durch den städtische Verkehr und erreicht endlich die Autobahn. Sie entspricht - von einigen sprungschanzenähnlichen Querrillen abgesehen - westlichem Standard, und entsprechend beschleunigt der Bus auf 100 km Reisegeschwindigkeit. Die Federung wird bei jedem ‘Sprung’ aufs Äußerste strapaziert, was den Fahrer aber nicht weiter beeindruckt.
Ankunft im Dongqian Lake Hotel. Zur Begrüßung ist in der Hotelhalle wieder ein rotes Transparent aufgehängt. ‘Welcome Young People’ Jazz Orchestra NRW…‘Es finden die üblichen Begrüßungsreden statt, wobei der Schnatterhall der Charaoke-Anlage etwas befremdend wirkt. Auch hier ist das Essen vorzüglich und wir sind erneut tief beeindruckt von chinesischer Eßkultur.
Nachmittags besichtigen wir das Theater, in dem abends das Konzert stattfindet. Es soll live im Fernsehen übertragen werden. Beim Soundcheck geraten Geschäftsführer und der örtliche Toning. aneinander, da letzterer nicht davon zu überzeugen ist, daß der ‘Mix’ für das Theater ein anderer ist, als der für die Fernsehübertragung. Irgendwie funktioniert es dann doch (chinesische Praxis), und es wird wieder ein erfolgreicher Abend. Nach dem Konzert wie üblich Fotos und Visitenkartentausch. Zou Ying mahnt zur Eile, zwar dezent aber unmißverständlich, denn im Hotel war ja das Abendessen schon wieder ‘volbeleitet’.
Mittwoch, 22. Mai
Zou Ying hatte einen Studienkollegen, dem ging es während des Studiums nicht besonders gut, und sie half ihm. Heute geht es ihm viel, viel besser und er ist Leiter des Kulturbüros in Xin Chang. So kommt es denn, daß wir in eben diesem Städtchen einen weiteren Auftritt haben. Der Weg führt uns über eine kurvenreiche und gebirgige Landstraße. Daß man das Ende einer Kurve nicht einsehen kann, scheint den Busfahrer nicht weiter zu stören, und er überholt trotzdem. Die Band macht sich Mut, indem sie bei jedem heiklen Überholmanöver die Erkennungsmelodie des ‘7. Sinns’ intoniert.
Ankunft in Xin Chang gegen Mittag. Zou Ying’s ‘Studienkollege’ begrüßt uns samt Gefolge im Hotel und führt uns gleich zum Essen. Wie wir später erfahren, ist der Kulturetat dieser Stadt für derartige Empfänge nicht besonders hoch, doch läßt man es auch hier an nichts mangeln (vom Strom zwischen 14:00 und 18:00 Uhr einmal abgesehen). Das Essen ist reichlich und abwechslungsreich wie immer, die Gastgeber, darunter auch einheimische Künstler, sind sehr höflich und zuvorkommend. Nachmittags besichtigen wir eine Tempelanlage mit beeindruckenden Buddhafiguren.
19:00 Uhr. Konzert im Kulturzentrum, anschließend Abendessen im Hotel mit Videovorführung des Konzertes vom 21. Mai in Ningbo. Zou Ying hat den Film zwischenzeitlich organisiert. Die Gastgeber schenken reichlich Schnaps nach, versuchen sich selbst aber mit Wasser, das sie heimlich anstelle der Spirituose in ihre Schnapsgläser füllen, aus der Affäre zu ziehen.
Donnerstag, 23. Mai
Wir fahren zurück nach Hangzhou. Ursprünglich war dort noch ein offizieller Programmpunkt geplant. Das Orchester protestiert, verständlicherweise, möchte man doch nun auch einmal ohne Aufsicht in eigener Regie etwas unternehmen. Wir fahren auf der Autobahn mit den bereits erwähnten Querrillen, doch statt wie auf der Hinfahrt mit hohem Tempo ‘rüberzuspringen, wird der Bus zusehends langsamer, bis er schließlich anhält und seinen Geist aufgibt. Nach Meinung des Busfahrers sitzen die Kraftstoffilter zu, worauf er diese entfernt. Erneuter Versuch, der Bus kommt nicht auf Touren. Erst als er auf unseren Tip hin den Dreck aus dem Luftfilter herausschüttet, kann es weitergehen. Hangzhou, früher Nachmittag, kein Programm, jeder kann machen, was er will. Das Leitungsteam geht mit Zou Ying zum Essen, danach bummeln wir durch die Stadt, kaufen und feilschen. Wir sind angetan von der riesigen Auswahl an hochwertigen Seidenprodukten; man könnte ganze Koffer voll davon mitnehmen. Es ist der letzte Abend in Hangzhou und wir genießen noch einmal das südländische Flair auf der West-Seepromenade.
Unsere Gastgeber haben eine Abschiedsparty in einem ‘Jazzclub’ organisiert. Ein einheimisches Duo spielt ‘Take Five’ und ‘Feelings’, unsere ‘Jungs’ steigen mit ein. Man hat für den Abend ein künstlerisch hochwertiges Programm zusammengestellt: neben einer attraktiven Illusionistin tritt ein Trio auf, das chinesische Zirkusakrobatik auf höchstem Niveau bietet. Ausdrucksvoll und mit viel Hingabe präsentieren anschließend drei chinesische Musikerinnen Kammermusik auf traditionellen Instrumenten.
Die Band ist hingerissen.
Doch auch an diesem Abend gibt es kein open end. Trotz guter Stimmung wird gegen Mitternacht zum Aufbruch gemahnt. Der Bus wartet, wir fahren zurück zum Hotel. Man spürt, daß die chinesische Seite auch den letzten Tag unseres Aufenthaltes in Hangzhou ’sauber’ und ohne Zwischenfälle hinter sich bringen möchte. Einige Bandmitglieder melden Protest an. Man sei schließlich erwachsen und könne auf sich selbst aufpassen. Zurück im Hotel wird spontan die ‘Fortführung’ der Abschlußfete organisiert. Einige verspüren das Verlangen, doch noch einmal in die Stadt zu fahren und sich ein bißchen im Nachtleben von Hangzhou umzuschauen. Unbeaufsichtigt von unseren freundlichen chinesischen Begleitern läßt man die Nacht in einer Diskothek ausklingen.
Ob nicht doch irgend ein verstecktes offizielles Auge über uns wachte, bleibt ein Geheimnis.
Freitag, 24. Mai
Nach dem Frühstück Abfahrt zum Flughafen. Das Einchecken verläuft ohne Probleme. Es heißt Abschied nehmen von Hangzhou. Wolf Escher und Bao Zhen Xi (kurz:‘Bao’) überreichen sich zum Andenken persönliche Geschenke. Sie sind sich sympathisch, können sich nach wie vor nicht unterhalten und verstehen sich trotzdem.
Wir sitzen im Flieger Richtung Peking. Der Himmel über China scheint nie richtig aufzuklaren; dunstig ist es vor allem über Chinas Hauptstadt. Am Flughafen werden wir von 2 Kleinbussen abgeholt, die uns nach Tianjin, der drittgrößten Stadt Chinas, transportieren. Die Fahrt geht zunächst über die großzügig ausgebaute Flughafenautobahn Richtung Peking Stadtzentrum. Wir sehen eine Stadt, die mit aller Macht den wirtschaftlichen Aufschwung vorantreibt. Riesige Hotels, Bürotürme und Bankgebäude mit spiegelnden Fassaden lassen den Vergleich mit westlichen Metropolen aufkommen. Werbeflächen mit Namen uns vertrauter Westprodukte sind nicht zu übersehen. Die Verkehrsdichte ist in den letzten 5 Jahren sprunghaft angestiegen; der innerstädtische Straßenbau kann längst nicht mehr mithalten.
Wir haben Peking hinter uns gelassen. Die Außenbezirke sind geprägt durch monotone Architektur. Man fühlt sich an die Vorstädte Moskaus erinnert. Vergeblich sucht man nach Häusern, die von traditionellem chinesischen Baustil geprägt sind. Plattenbauten überwiegen, neue Gebäude werden mit Vorliebe gefliest.
Die Fahrt ist anstrengend, die Landschaft bietet kaum Abwechslung. Die vierspurige Straße, auf der wir seit geraumer Zeit dahinzockeln, ist an Monotonie kaum zu überbieten.Tianjin ist eine der wichtigsten Industriemetropolen Nordchinas. Wichtigster Wirtschaftszweig ist die Schwerindustrie. 48 km vom Zentrum entfernt liegt einer der größten chinesischen Häfen. Der Stadtrand von Tianjin wirkt noch deprimierender als der von Peking. Der Dunst ist dichter, die Luft riecht nach verbrannter, schwefelhaltiger Kohle. Wir erreichen unser Hotel. Es ist ein riesiger, wuchtiger, dunkler Klotz, in dessen Hotelhalle uns der sozialistische Muff vergangener Tage entgegenschlägt.
Ausladen, Zimmer verteilen, Zou Ying hat alles im Griff. Beim Abendessen treffen wir mit Vertretern der Kulturbehörde zusammen, die uns freundlich willkommen heißen. Wir prosten uns zu, - auch hier scheint alles wieder bestens organisiert zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich, nachdem der Geschäftsfüher nach dem Essen noch eingeladen wird, sich ein Bild von den Konzertvorbereitungen in der Tianjin Musikhalle zu machen.
Der Abend steht zur freien Verfügung, man sucht Zerstreuung in der hoteleigenen Charaoke-Bar.
Samstag, 25. Mai
Wir besuchen einen Markt, einen chinesischen ‘Basar’. Das Orchester schwärmt aus und läßt sich diverse Souvenirs andrehen. Anschließend Essen in einem Selfservice Restaurant. Auch hier gibt es vorzügliche chinesische Speisen, wobei der Unterschied zu amerikanischen fast food-Menüs eklatanter nicht sein kann.
Der für den Nachmittag vorgesehene Ausflug zu einem Künstlermarkt wird abgeblasen; die Band kann relaxen. Die vergangenen Tage waren vollgestopft mit Konzerten und offiziellem Programm. Man ist froh, für ein paar Stunden auf dem Zimmer ‘abhängen’ zu können. Abends Aufführung in der Tianjin Musikhalle. Es ist der überzeugendste Auftritt der Band während der gesamten Tour. Die Halle ist mit 1.800 Zuschauern ausverkauft. ‘Fun’ zum Schluß sorgt wieder für ausgelassene Stimmung.
Das letzte offizielle Konzert unter chinesischer Federführung ist gelaufen. Man spürt die Erleichterung bei den Organisatoren. Sie haben sich mächtig ins Zeug gelegt, stets alles gut ‘volbeleitet’. Es wird alles in allem ein rundum positiver Bericht werden, der die höchste Kulturinstanz in Peking erreichen wird, und die, die Bericht erstatten (müssen), werden sich des Lobes sicher sein können.
Sonntag, 26. Mai
Busfahrt nach Peking, dort Ankunft im Huada Hotel am frühen Nachmittag. Wir werden empfangen von Melanie, einer bezaubernden chinesischen Studentin, die uns fortan in Peking zur Seite stehen wird. Nachmittags besichtigen wir, den Kaiserpalast, auch verbotene Stadt genannt. Die Anlage, die in ihren Ursprüngen auf die Yuan-Dynastie (1271 - 1368) zurückgeht, ließ der Yongle-Kaiser der Ming-Dynastie von 1406 bis 1420 zu seiner heutigen Größe erweitern, nachdem er die Hauptstadt von Nanking nach Peking verlegt hatte. Sie war 490 Jahre lang die Residenz von 24 Ming- und Quing-Kaisern. Der Palast durfte von keinem normalen Sterblichen betreten werden. (vergl. Baedecker: ‘China’ S.338).
Melanie führt uns sachkundig durch die verschiedenen ‘Hallen’ und Innenhöfe und erzählt uns in akzentfreiem Deutsch Wichtiges und Wissenswertes. Nächste Station ist der Tiantan Park mit dem Himmelstempel (Tiantan) im Süden der Stadt. Es ist eine von üppiger Vegetation umgebene Sakralanlage aus dem Jahr 1420. Die Anlage symbolisiert mit ihrem südlichen rechteckigen Abschnitt und dem halbkreisförmigen nördlichen Erde und Himmel. Zur Zeit der Wintersonnenwende begab sich der Kaiser im Morgengrauen hierher, um den Himmel in einer feierlichen Zeremonie um eine reiche Ernte zu bitten und Opfer darzubringen. (vergl. Baedecker: ‘China’ S.344).
In der weitläufigen Anlage lassen viele Chinesen ihre Drachen steigen; die Fluggeräte sind teilweise so weit entfernt, daß sie kaum noch zu erkennen sind. Auffallend ist der geringe Anteil an Kindern unter den Besuchern. Abends fahren wir in einen Kultur- und Freizeitpark u.a. mit Sehenswürdigkeiten im Miniaturformat. Es gibt Abendessen mit Animation. Mädchengruppen in Folkloregewändern ziehen singend von Tisch zu Tisch. Nach jedem Lied hält ein Mädchen den Kopf eines Gastes an den Ohren fest (oder war es die Nase?), und ein anderes flößt dem so ‘Ruhiggestellten’ Bier ein. Die Band amüsiert sich, beteiligt sich singend und tanzend am Unterhaltungsprogramm.
Montag, 27. Mai
Auf dem Programm steht eine Fahrt zu den berühmten Dreizehn Ming-Gräbern, einer 40 km² großen Grabanlage 50 km nördlich von Peking. Sie bilden gleichsam einen Monumentalfriedhof der Ming-Dynastie, in dem 13 von 16 Kaisern dieses Geschlechts sowie die Kaiserinnen und einige Nebenfrauen beigesetzt sind.
Der Bus quält sich durch den Verkehr; immer wieder stecken wir im Stau, da die nach Norden führende Stadtautobahn nicht fertig ist. Es bleibt Zeit für chinesischen Sprachunterricht mit Melanie. Didaktisch wohl durchdacht zeigt sie auf kleinen Täfelchen entsprechende Schriftzeichen und erklärt über das Busmikrophon.
Die Band hat Melanie in ihr Herz geschlossen.
Zwischenstopp an einem Souvenirladen. Alles raus, eindecken und weiter geht es. Wir besuchen das Grab Dingling, das für Kaiser Wanli (Reg. 1572 -1620) uns seine beiden Frauen Xiaoduan und Xiaojing errichtet wurde. Die Ausgrabungen, die 1956 begannen, förderten einen ‘unterirdischen Palast’, ganz aus weißem Mamor, zutage. Es ist die einzige Gruft, die bisher geöffnet wurde. Ein dreieckiges Tor in der ‘Diamantenwand’, die den Grabhügel umgibt, führt in die unterirdische, 1195 m² große Anlage, die drei Stockwerke unter der Erde liegt und aus 5 Sälen besteht. (Vergl. Baedecker)
Im Umfeld dieser Anlage haben Händler ihre Stände aufgeschlagen und bieten viel Plastikramsch an, darunter auch Kriegsspielzeug der übelsten Sorte. Man hätte am liebsten ‘draufgetreten. Entsprechende Pietät im Hinblick auf die Gräber war nicht auszumachen.
‘Es ist kein wahrer Held, wer noch nicht auf die Große Mauer gestiegen ist’, so sagt ein chinesisches Sprichwort. Also machen wir uns auf, als nächstes dieses Weltwunder zu besuchen. Aus Furcht vor den Nachbarstaaten, vor den Hunnen und anderen in Nord- und Westchina angesiedelten Stämmen, ließen die einzelnen Herrscher an ihren Reichsgrenzen massive Verteidigungsanlagen errichten. Nach der Einigung des Landes im Jahr 221 v. Chr. wurden im Auftrag des Kaisers Qin Shi Huangdi (221 - 210 v. Chr.) die verschiedenen Befestigungswälle miteinander verbunden und so zu einer einzigen Mauer ausgebaut. 300.000 Soldaten und 500.000 zwangsverpflichtete Bauern, von denen viele umkamen, arbeiteten mehrere Jahre lang an diesem Mammutbauwerk aus Stampflehm, das nach Fertigstellung rund 5.000 km lang war. (vergl. Baedecker: ‘China’ S.185)
Wir besichtigen einen der besterhaltenen Mauerteile in der Nähe des Badaling-Passes, 85 km nordwestlich von Peking, 1.000 m ü.d. Meer gelegen. Der Wall ist in diesem Bereich 7 bis 8 m hoch und 5 bis 6 m breit. Die Stufen sind sehr steil, man bewältigt mit wenigen Schritten einen enormen Höhenunterschied. Imposant ist der Ausblick auf das sich wie ein Bandwurm über Berg und Tal bis zum Horizont dahinschlängelnde Bauwerk.
Wir fahren zurück nach Peking, machen einen kurzen Zwischenstopp in einer Emaillefabrik, wo wir die filigrane und für die Arbeiterinnen sehr ermüdende Herstellung wertvoller chinesischer Vasen bewundern können. Ganze Busladungen mit Touristen ergießen sich durch die Fabrikationsräume. Die Angestellten, von denen einige vor Erschöpfung auf der Tischplatte eingeschlafen sind, müssen sich wie im Zoo fühlen; vor allem amerikanische Besucher, in ihrem Freizeitdress schon von weitem auszumachen, schieben sich teils mit Bierbüchsen in der Hand gaffend an der Belegschaft vorbei. Man hat schließlich bezahlt, -Zurückhaltung ist nicht angesagt.
Die meisten von uns besuchen am Abend die Peking-Oper. Sie wird in einem großen Hotel mit integriertem Aufführungsraum präsentiert. Es gibt kleine Knabbereien und Tee, das hält wach, - für’s erste zumindest. Alles ist sehr farbenprächtig; die Gewänder der Darsteller sind beeindruckend, ebenso die akrobatischen Tanzeinlagen. Es gibt kein Bühnenbild; Ort und Handlung werden durch die Mimik ‘heraufbeschworen’. Kulturell aufgeschlossen, wie die Band nun einmal ist (man bereiste schließlich alle Kontinente), verfolgt sie tapfer - teils mit geschlossenen Augen - das bunte Treiben und lauscht den gewöhnungsbedürftigen Klängen der chinesischen Kapelle.
Dienstag, 28. Mai
Wir besichtigen den Lama-Tempel (Yonghe Gong) im Nordosten der Stadt, fahren zurück in das Stadtzentrum und steigen am Platz des Himmlischen Friedens aus. Dieser rund 40 ha große Platz fast 1.000.000 Menschen und dürfte somit der größte der Welt sein. Er ist sowohl der geographische wie der historische und kulturelle Mittelpunkt Pekings. Am 4. Mai 1976 wurde eine Demonstration für den verstorbenen Ministerpräsidenten Zhou Enlai gewaltsam niedergeschlagen. Zur traurigen Berühmtheit gelangte der Platz, als hier im Frühsommer 1989 die Studentendemonstration für Demokratie und gegen Pressezensur brutal unterdrückt wurde.
Vor und das weltbekannte Postkartenmotiv: das Tor des himlischen Friedens, hinter dem sich die verbotene Stadt mit ihren riesigen Ausmaßen verbirgt. Auf der Mauer ein überlebensgroßes Maoportrait. Links liegt die Halle des Volkes, in der der Nationale Volkskongress tagt. Im Bankettsaal können 5.000 Menschen zu Tisch sitzen. Im Süden befindet sich die Mao-Zedong-Gedenkhalle mit dem in einem Kristallsarkophag aufbewahrten Leichnam Maos. Eine endlose Besucherschlange wird gruppenweise in die Halle eingelassen.
Nicht zu übersehen in einigen hundert Metern Entfernung: der überdimensionale Schriftzug von ‘McDonald’s’.
Es ist sommerliches Wetter, die Atmosphäre auf dem Platz wirkt friedlich und entspannt, hier und da steigen Drachen auf. Polizei patrouilliert unauffällig und scheinbar teilnahmslos; zu glauben, hier könne man spontan ein Transparent entrollen und für oder gegen etwas demonstrieren, wäre ein Trugschluß.
Nachmittags kein Programm.
Die Band teilt sich auf. Einige kaufen ein, andere lassen sich mit der Rikscha durch die Gegend fahren. Leitungsteam und Geschäftsführer sitzen in einem einfachen Restaurant, essen mit Zou Yings Hilfe wieder die leckersten Sachen. Dabei beobachten sie das Treiben auf der Straße und glauben herausgefunden zu haben, daß chinesische Menschen sich mit Haltung und einer gewissen Grazie durch das Leben bewegen.Am späten Nachmittag werden wir zur deutschen Botschaft befördert. Dort findet das letzte Konzert vor unserer Abreise statt; unsere chinesischen Gastgeber, die sich bislang so aufopfernd um uns gekümmert hatten, sind selbstverständlich unsere Gäste.
Das Botschaftgebäude ist das der ehemaligen DDR-Vertretung. Es wirkt nüchtern und nicht gerade einladend. So nüchtern wie das Ambiente ist auch die Begrüßung durch die Botschaftsekretärin, einer gewissen Frau Frank. Weiteres Botschaftspersonal läßt sich nicht blicken.
Zur Begrüßung gibt es nichts zu trinken und erst recht nichts zu essen; auf Drängen der Orchesterleitung rückt Frau Frank schließlich mit einigen Flaschen Mineralwasser ‘raus.
Die Band ist konsterniert, zumal sie unseren chinesischen Gästen auf ‘deutschem Boden’ gerne etwas mehr geboten hätte.
Am Abend ist der Saal rappelvoll. Das chinesisch/deutsche Publikum ist begeistert. In der Pause gibt es etwas Bier und Wein; wer sich nicht rechtzeitig anstellt, geht leer aus, - kein Essen weit und breit. Unsere Chinesen bewahren Haltung und lächeln. Ein offizieller Vertreter der Botschaft oder gar der Botschafter persönlich taucht nicht auf; er habe Termine, - so die Verlautbarung.
Frustrierender Abschluß einer erfolgreichen Tournee!
Wir laden unsere Gäste auf Kosten des Orchesters zum Abendessen in unser Hotel ein. Dort ist die Küche bereits geschlossen. Die Chinesen ergreifen daraufhin die Initiative und binnen kürzester Zeit organisieren sie einen Tisch für ca. 30 Personen in einem eher unscheinbaren Restaurant. Das Essen besteht wie immer aus zahlreichen verschiedenen Speisen, so wie man es bisher gewohnt war. An diesem Abend hört man verständlicherweise ‘gambai’ besonders oft, der letzte Abend zusammen mit unserer ‘Hangzhou-Abordnung’ wird gebührend gefeiert. Ende offen.
Mittwoch, 29. Mai
Transport zum Flughafen. Der Fahrer des Gepäcktransporters verweigert die Herausgabe einiger Koffer, da angeblich etwas nicht bezahlt worden sei. Zou Ying wird daraufhin sehr energisch. Das Einckecken verläuft auch dieses Mal problemlos. Wie schon zuvor bei der Einreise stellt sich das Orchester in alphabetischer Reihenfolge auf, und die chinesischen Behörden sind’s zufrieden. Wir müssen uns von unseren Gästen verabschieden, von Zou Ying und ihren Begleitern und von Melanie, bei der wir das Gefühl haben, sie sei schon von Anfang an dabei gewesen.
Die Trennung fällt allen schwer.
11:00 Uhr. Abflug mit MU 551 der China Eastern Airlines nach Brüssel. Ankunft 16:00. Das Auschecken zieht sich hin. Die Behörden haben keine Eile. Busfahrt zurück über Aachen und Köln nach Dortmund. Und dann stehen der Leiter und der Geschäftsführer wieder da, wo sie vor 15 Tagen auch gestanden haben, - auf dem Parkplatz der Dortmunder Musikschule. Dort geht gerade eine Veranstaltung zu Ende und Kollegen fragen mich mit Blick auf unsere Koffer, wo wir den herkommen, und ich sage: ‘Aus China!’ - oder?